Künstlerporträt

Künstlerporträt

Das Universum denkt in uns, in dem Maße, in dem wir an es denken: wir können der Blick und das Wort des lebendigen Universums sein, wenigstens aber seine Gesprächspartner.“ Francois Cheng

 

Die Malerei als Weg  –  Ein Porträt über Ulrike Northing, Malerin auf Hiddensee

Die Malerin Ulrike Northing lebt mit festem Wohnsitz seit dem Jahr 2007 auf der Insel Hiddensee, die sie seit Mitte der 1980er Jahre als Arbeitsort kennen, schätzen und lieben gelernt hat. In Vitte hat sie ihre Ateliergalerie etabliert, in der sie arbeitet, Besucher empfängt und ihnen von ihrer Arbeit als Malerin erzählt. Ulrike Northing übt ihre Kunst seit ihrem Studium an der HfBK Dresden professionell aus. Den besonderen Wert des Landschaftlichen und der noch unberührten Natur der Insel gerecht zu werden, sich für ihre Erhaltung stark zu machen, ist eine Seite ihrer Malerei. Die andere Seite besteht im Erkennen der geistig-sprituellen Kraft, die hier wirkt und die sie an das Gesamtsystem der Natur vor Ort anschließt. Im Unisono mit dem Kosmos erlebt Ulrike Northing die Natur als sich ständig im Wandel befindende schöpferische Kraft und fortwährende Herausforderung. Dies über die Malerei auszudrücken und dann nach außen sichtbar zu machen – ist ein Weg, den sie für sich entdeckt hat und den sie jeden Tag intensiv und aktiv auslebt.

Das Geistige war Ulrike Northing von Beginn an vertraut. In einem bildungsbürgerlichen Elternhaus geboren und groß geworden, zogen sie Philosophie und andere Geistenswissenschaften sowie Sprache und Kunst magisch an. Nach dem Abitur nahm sie zunächst ein technisches Studium auf, dem eine postgraduale Sprachausbildung und danach eine Ausbildung als Textilgestalterin folgten. Schließlich war ihr bewusst geworden, wie sehr sie sich danach sehnte, die Welt mit den Augen einer Malerin zu entdecken. Immer war der Gedanke dabei, durch die Malerei eine neue Sicht auf die Natur zu erlangen und auf diese Weise mit ihr zu kommunizieren. Nach dem Abendstudium studierte sie noch zwei weitere Jahre an der HfBK Dresden Malerei und Grafik bei Professor Bruno Conrad (1930-2007). Das hört sich wie eine Erfolgsgeschichte an, aber der Weg dahin war steinig. Die Liebe zur Kunst, die Freude an Erkenntnissen in und durch die Malerei und an der Rezeption ihrer Kunst durch Besucher waren immer wieder Ansporn, den Geheimnissen der Malerei auf die Spur zu kommen und neue Ausdrucksmöglichkeiten zu entdecken. Bis heute nehmen ihre beiden Kinder (in den 1980er Jahren geboren) einen ganz wichtigen und bereichernden Platz in ihrem Leben ein.

Für die innere Erkenntnis der Natur und ihrer Schönheit in der Malerei ist die Rolle des Lichtes unabdingbar. Es füllt nicht nur den Raum und macht ihn sicht-und erfahrbar, sondern entfaltet auch Farbe und Form der Dinge. Malen ist für Ulrike Northing ein intimer Prozess, in dem sie nach Klarheit sucht, verwirft und den Faden wieder aufnimmt, neue Versionen je nach Stimmung und Gefühlstemperatur entwickelt und dem Bild zum Eigenleben verhilft. Häufig malt sie an mehreren Bildern zugleich. Vom Impressionismus stark geprägt, geht Ulrike Northing dem Wirken des Lichts in der Landschaft nach. Gerade in der unberührten Natur zeigt das Licht seine ganze Kraft und Bedeutung für das Erfassen der Form und schließlich auch für die innere Erkenntnis ihrer Spiritualität. Die beiden Aspekte des Lichts bedeuten für Northings Malerei alles: Sie führen von einer der Natur abgeschauten Harmonie zur inneren Schönheit des Geschauten, die die Seele des Betrachters erquicken und erfreuen lässt. Gleichzeitig entsteht in ihrer Arbeit am Bild immer etwas Neues, das aus dem Inneren kommt, in dem sich das Gestalthafte ändert oder verliert und notwendig zu etwas Unverwechselbar-Eigenem wird. Das Motiv verschwebt und entschwindet, ist aber noch da, erlebt aber nach einer gewissen Distanz und Rückversicherung eine Auferstehung zu einem neuen Bildkörper, der nun aus Anschauung und innerer Erlebtheit besteht.

Die Landschaft auf Hiddensee hat seit langer Zeit viele Künstler beeindruckt. Ihre Unversehrtheit bringt für kreative Menschen vor allem neue innere Erkenntnisse über die Zusammenhänge in der Natur. Die Malerin benutzt ihre Mittel je nach Motiv und atmosphärischer Stimmung. Neben der Pastellkreide, die für weiches Licht und gedämpfte Farben geeignet ist, verwendet sie vor allem die Ölfarbe für satte und kräftige Bildschöpfungen in größeren Formaten. Maritime Landschaften, der Blick auf das Meer, sind für Ulrike Northing ebenso wichtig wie Ansichten von der Heidelandschaft und den Häusern der Siedlung. Ihre Malerei folgt dem Zyklus der Jahreszeiten. Jede von ihnen hat ihren eigenen Reiz, einen typischen Farbklang. Die rauhe Grundstimmung besonders im kargen Herbst und Winter offenbart sich in Northings Malerei als atmosphärische Melancholie, die ein besonderes Farbgefühl verlangt. Weite, klare oder gedämpfte Himmel liegen auf dem flachen Horizont, warme Tupfer sind die Dächer der Katen des Dorfes, erdig-rotbraune Stellen wechseln sich mit weißen und grauen Flächen von Eis und Schnee ab.

Ihre Neigung für florale Motive lebt sie in opulenten, fantasiereichen, leicht abstrahierenden Gartenstücken und Blumenbildern aus. Das farbstarke Arbeiten bringt sie nahe an die Wahrheit des Naturmotives, das im besten Fall seine Erfüllung in Sinnbildern findet. Die Ruhe der Lokalfarben ist eng an die Nähe des Motivischen gebunden, das Rückversicherung und Erdung bewirkt. Dabei handelt es sich nicht um konkrete Blumensorten, sondern um die florale Impression aus Farbe, Form und Licht. Spontan gewachsene Büschel und Dolden wirken wie Sträuße und natur mortes, in denen Vergänglichkeit waltet und zugleich Schönheit herrscht, beides ineinander verwoben. Auch der Heide im Südteil der Insel gilt im Frühjahr ihr Interesse. Schon seit beginn ihres künstlerishen arbeitens begann das Interesse für abstrakte „Übersetzungen“ von Landschaften und urbanen Räumen. So konnte sie in ihrer Dresdner Zeit zahlreiche Inspirationen durch Kulturlandschaften und historische Architekturen verarbeiten: als Beispiele seien hier Ölbilder von der Frauenkirche, den Schlössern am Elbhang und Ansichten vom Dresdner Zwinger genannt. Ulrike Northings Faszinosum ist das silberhelle Licht auf Hiddensee, des maritimen Nordens überhaupt, das ähnlich dem blauen Licht der Kirchenfenster während der Dämmerung in den sakralen Raum bricht und kosmische Kräfte freisetzt. Musik aber, die sie parallel zur Arbeit hört oder in ein konkretes Bild verwebt, ist immer in ihren Werken präsent, wie farbige Klänge und Tonalität. Abstrakte Bilder zur Musik entstanden auch. Viele ihrer Bilder sind erfüllt von Leichtigkeit und einer gewisse Schwerelosigkeit. Die schwirrende Luft im Licht des Sommers und die klare Zerbechlichkeit der Farben des Winters zielen auf eine Schönheit, die durch das Erleben in der Natur empfangen wurde. Henry Bergson schrieb über die Schönheit, die auch in Ulrike Northings Bildern herrscht: „So wird derjenige, der mit den Augen des Künstlers das Universum betrachtet, durch die Schönheit hindurch die Anmut und durch die Anmut wieder die Güte durchleuchten sehen“.

Heinz Weißflog